Worüber schreibt man denn eigentlich bei einer Bachelorarbeit im Bereich Interior Architecture and Design? Diese Frage habe ich mir auch vor meiner Abschlussarbeit gestellt. Nun ja, es ist sehr theoretisch und fachbezogen. Aber es muss auf gar keinen Fall langweilig sein. Am besten, man schreibt über ein Thema, dass relevant, bisher unbehandelt und für Autor und Leser faszinierend ist. Die Ace Hotel Kette aus den USA bietet da mehr Stoff, als ich in 60 Seiten packen konnte. Und obwohl ich bereits einen Blogpost über die Ace Hotels veröffentlicht habe, der nun in der Rückschau nur die Oberfläche der Designtiefe der Hotelkette ankratzt, so möchte ich Euch jetzt ausführlicher und doch in der Zusammenfassung die Vorreiterrolle des Ace Hotels im Design von Boutique Hotels erläutern. Und versprochen, es ist nicht langweilig.
Bevor ich in die Thematik tief einsteige, hier erst mal ein paar Hard Facts über die Ace Hotel Kette. Es gibt zur Zeit neun Ace Hotels und zwar in Seattle, Portland, Los Angeles, Palm Springs, New Orleans, New York, Pittsburgh, Chicago und London. Ein Ace Hotel in Kyoto, Japan steht kurz vor der Eröffnung. Alles began in den 90ger Jahren in Seattle, Washington, damals Hauptstadt des Grunge, bekannt für viel Regen, Boeing, Schlaflos in Seattle und guten Kaffee. Alex Calderwood und Wade Weigel, zwei umtriebige und geschäftstüchtige Typen aus Seattle, erschaffen sich ihr eigenes Universum. Sie gründen Rudy's Barber Shop, ein Friseurgeschäft im traditionellen Barber Shop Stil aber in "Cool", es gibt viel Street Art, Kaffee, coole Musik und einen Mix aus vintage und neuen Möbeln. Das Konzept kommt so gut an, dass sich Rudy's zur nationalen Kette ausweitet. Das nächste Projekt soll ein Hotel sein. Gleiches Konzept für die gleiche Kundschaft. Das Gebäude ist schnell gefunden, ein heruntergekommenes Hostel für Hafenarbeiter und Obdachlose in Belltown, einem Stadtteil von Seattle nahe Downtown, der seine besten Tage lange hinter sich gelassen hat und von zwielichtigen Gestalten nur so wimmelt.
Calderwood und Weigel eröffnen das erste Ace Hotel im Jahr 1999 und das Konzept geht auf. Auch hier designen sie das Hotel so, wie sie gerne leben: individuell, ein Mix aus alt und neu mit viel Street Art und ziehen damit die Kreativszene in ihren Bann. Es gibt luxuriöse Hotelzimmer und Mehrbettzimmer mit Gemeinschaftswaschräumen auf dem Flur: eben wie das Ass, die niedrigsten und höchste Karte im Kartenspiel.
Mit einem Abstand von mittlerweile zwanzig Jahren fragen wir uns vielleicht, warum das Ace Hotel damals so besonders war? Dazu muss man verstehen, dass insbesondere die Hotelszene in den USA aus standardisierten Businesshotels und Ketten bestand, die den Reisenden ein absolut kalkulierbares, steriles und austauschbares Erlebnis bot. Erst mit dem Aufkommen des neuen Genres Boutique Hotel, oder auch Lifestyle Hotel, entwickelte sich eine Reaktion auf den wachsenden Anspruch der Reisenden, das Hotel selbst zum Erlebnis zu machen, mehr Bezug zum Lokalen zu schaffen und inspirierende Innenarchitektur zu erleben. Die Ace Hotel Gruppe sollte ein Pioneer dieser Bewegung werden. Doch was macht das Interior dieser Hotels so besonders? Fünf Aspekte haben sich als Schlüsselpunkte herauskristallisiert und alle beschreiben den "Ace Effect" - die positive Strahlkraft des Hotels auf ganze Viertel, Reisende und die Boutique Hotel Landschaft.
Individualisierung
Wie bereits oben erwähnt, die Hotellandschaft in Amerika war vor dem Ace Hotel langweilig und absolut kalkulierbar, abgesehen von den Themenhotels in Las Vegas oder Disney Land. Aber das Ace Hotel wollte nie laut sein, sondern Individualisierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner im Hotelgenre ausspielen: dem Hotelzimmer. Jedes Hotelzimmer in den Ace Hotels hat den Anspruch einzigartig zu sein. Um das zu erreichen, wurden zum einen lokale Künstler beauftragt, die Wände mit ihrer Kunst zu schmücken, es wurden lokale Antiquitätenhändler und Flohmarkte abgefahren und einzigartige Möbel und Dekorationselemente gekauft, und es wurden lokale Handwerksbetriebe mit Maßanfertigungen beauftragt.
Ace Hotel is a collection of individuals, multiple and inclusive...
Ace Hotel Mission Statement
Diese Herangehensweise ist unglaublich aufwändig und das Ergebnis manchmal nicht so kalkulierbar, als wenn man die Möbel aus dem Hotelierkatalog einkauft. Es bedarf einem sehr großen zeitlichen und monetärem Einsatz. Aber Alex Calderwood's Engagement und Vision war der antreibende Faktor. Er galt als das Mastermind und Art Director, der für die Perfektionierung jedes kleinsten Details verantwortlich war. Ich muss leider sagen "war", denn Calderwood starb 2014 an einer Überdosis, er wurde in einem Hotelzimmer des Ace Hotel London Shoreditch gefunden.
Ace Hotel Portland
Die Ace Hotel Gruppe versteht ihre neun Hotels als Individuen. Jedes Hotel besitzt ein eigenes Logo, hat eine eigene Website und Social Media Accounts. Also sieht auch jedes Ace Hotel unterschiedlich aus, und trotzdem weiß der Gast, dass es sich um ein Ace Hotel handelt. Es ist die unverwechselbare "Attitude".
Die Lobby des Ace Hotel Portland hat alles, was das Design des Ace Hotel ausmacht. Alt gemixt mit neu, ein einladendes Layout zum verweilen und socializen, Materialien mit Patina, die ein Gefühl der Vertrautheit und Zugänglichkeit geben. Der Gast kann so sein, wie er ist.
Historische Gebäude
Das Ace Hotel residiert gerne in historischen Gebäuden, die - Denkmal oder auch nicht - vorm Verfall gerettet und zum neuen Leben erweckt wurden. Studien haben gezeigt, dass Gäste Hotels in historischen Gebäuden besonders wertschätzen, da sie dort das Gefühl haben, ein einzigartiges Erlebnis zu haben. Um diese Besonderheit ging es auch Calderwood, der gerne selbst die Auswahl der Gebäude traf. Beim United Artists Building in Downtown L.A. - zur der Zeit ein Viertel in Los Angeles, das man eher meiden sollte - war sich Calderwood sofort sicher.
“You feel the soul in the place. I never walked into a building and was this overwhelmed”
Alex Calderwood
Das Gebäude aus dem Jahr 1924 symbolisiert das Goldene Zeitalter des Hollywood Kinos. Es beherbergt ein eindrucksvolles Theater, dass restauriert wurde und jetzt wieder für Veranstaltungen genutzt werden kann. Die Fassade wurde auch restauriert, jedoch der dahinter liegende Büroturm wurde bis auf den Betonkern entkernt, sowie auch das Innere des Gebäudes. Dieser Kontrast aus filigranen Verzierungen und gegossenem Beton bildet die Grundidee des neuen Designkonzepts.
Aus einem Gebäude, das zuvor kein Hotel war ein Hotel zu machen ist ein höchst kompliziertes Unterfangen. Es müssen Zimmer geschaffen werden, Fluchtwege, Versorgungsschächte usw. Es ist sicherlich einfacher und günstiger, sich sein Hotel neu zu bauen. Aber wo bleibt da der Charme? Auf der Rückfront des Ace Hotel L.A. prangt in großen Leuchtbuchstaben "Jesus Saves". Auf dieses Schild habe ich von meinem Hotelzimmer geschaut und mich gefragt, was macht dieses Schild hier? Es wurde von dem Teleevangelisten Reverend Gene Scoot errichtet, als er im United Artists Gebäude residierte. Man hätte es entfernen können, aber nun ist es ein Relikt eines Vorbesitzers. Sicherlich besitzt es auch eine gewisse Ironie, die dem Ace Hotel nicht ungelegen kommt.
Die Dachterrasse des Ace Hotel L.A.: Designs by Alma Allen, Alia Penner und Tanya Aguiñiga Design.
Das Ace Hotel betreibt einen "einfühlsamen Restaurierungsansatz". Es beschäftigt sich sehr mit der Historie und Bedeutung des Gebäudes, und versucht vielleicht längst verschüttete Aspekte wiederzubeleben und aber auch es mit neuen Referenzen zu füllen, die das Gebäude wieder ins Hier und Jetzt bringen. Ich bewundere die Detailtiefe, mit der das Ace Hotel und auch die beauftragten Innenarchitekten und Architekten an die Arbeit geben. Commune Design, beauftragte Innenarchitekten für das Ace Hotel Los Angeles, Palm Springs und auch Chicago, kreierten zum Beispiel einen Fliesenkollektion für das Ace Hotel L.A. Aber auch die vielseitigen Werke der zahlreichen Künstler im Ace Hotel L.A. machen es innenarchitektonisch zu einem sehr besonderen Ort. In jedem Werk spürt man die Essence des neuen Los Angeles, dass neben der Filmindustrie so viel mehr zu bieten hat.
Das Viertel
Ace Hotels findet man abseits des geografischen Mainstream, gerne in Nachbarschaften, die ihre besten Tage hinter sich gelassen haben, aber unbedingt zurück ins Rampenlicht wollen. Die Auswahl des geeigneten Viertel dauert Monate wenn nicht Jahre. Dazu sendet Ace Hotel seine Scouts durchs Land. Oft kommt der entscheidende Tipp dann von Freunden von Freunden. Ist das Viertel einmal gefunden, und dazu auch noch das richtige Gebäude, so werden Kontakte geknüpft, geeignete Handwerksbetriebe aus dem Viertel gesucht, befreundete Unternehmen aufgefordert, dort doch auch einen Shop zu eröffnen. Sobald das Ace Hotel seine Pforten öffnet, kann man es förmlich spüren - böse Zungen nennen es Gentrifizierung, andere nennen es den "Ace Effekt". Tatsächlich gibt das Ace Hotel vielen Vierteln ein Stück ihrer Identität wieder. Die im Hotel integrierten Clubs, Bars, Restaurants und Shops werden von den Mensch im Viertel sehr gerne genutzt und oft ist das Ace Hotel als solches gar nicht von außen zu erkennen, wie zum Beispiel in London Shoreditch.
Man muss durch den Blumenladen That Flower Shop gehen um ins Restaurant im Ace Hotel Shoreditch, London, zu kommen. Das muss man erst Mal wissen. Viele Unternehmen aus der näheren Umgebung präsentieren ihre Waren im Ace Hotel. Das ist eine wichtige Maßnahme, denn das Ace Hotel möchte seinen Gast immer wissen lassen, wo er sich gerade befindet. Man sollte es richen, schmecken, sehen, hören und anfassen können. So kommen die Vinyl- Platten für die traditionellen Plattenspielern, die sich in fast allen Ace Hotelzimmern befinden, von lokalen Bands und Labels. Und die Kunst im Hotel erschufen Künstler aus der Umgebung, wie zum Beispiel die viele Street Art in Shoreditch, das berühmt für seinen lebendige Street Art Szene ist.
Das Ace Hotel schafft es immer wieder, seine Hotels zum lokalen Hot Spot zu machen. Theoretisch müsste der Hotelgast das Hotel nicht mehr verlassen, um den lokalen Spirit zu erleben.
Die Lobby als kulturelles Zentrum
Wer hat den ersten Co-Working Space erfunden? Nein, nicht WeWork. Das Ace Hotel. Alex Calderwood war einfach ein guter Beobachter und schloss von sich auf andere. Er fragte sich, was Leute in Hotel Lobbies gerne tun, und was sie dafür brauchen? Definitiv Kaffee, und so zog ein Café in jede Lobby ein. Gute Musik und schon legte jeden Abend ein DJ auf, oder es finden kleine Konzerte in vielen Lobbies statt. Und man braucht geeignetes Mobiliar, um entweder seinen Laptop vernünftig abzustellen, oder in großen und kleinen Runden gemütlich zusammen zusetzen und Zeit zu verbringen. Dafür muss es auf jeden Fall gemütlich sein, irgendwie vertraut, nicht steril. Et voilà: die Lobby des Ace Hotel.
Tatsächlich gilt die Hotel Lobby des Ace Hotel New York als Vorbild der derzeitigen wie Pilze aus dem Boden schießenden Co-Working Spaces. Auch im Ace Hotel New York, das 2009 in einem Viertel nördlich des Madison Square Park eröffnet wurde, welches noch nicht mal einen Namen trug (jetzt heißt es NoMad), wandte Calderwood seine Formel an: finde ein vernachlässigtes Viertel mit Potential, dazu ein historisches Gebäude, das dringend Liebe und Farbe braucht und erschaffe einen Ort für Touristen und Locals. Und plötzlich verbrachten Leute aus der Nachbarschaft ihre Tage mit ihren Laptops nur noch in der Lobby. Es gab Musik, frischen Kaffee, Cocktails, gutes Essen, kostenloses Wifi und Strom, und jede Menge cooler und inspirierender Leute. Man fühlte sich nicht mehr so allein.
Authentizität
Die Ace Hotels werden oft als Hipster Refugium bezeichnet. Und in gewisser Weise sind sie das auch. Alex Calderwood hat dieses Label immer harsch von sich gewiesen, aber auch das ist ein Merkmal der Hiptster. Sie wollen auf gar keinen Fall zu einer Gruppe gehören. Hipster lieben Authentizität. Das bedeutet alles handgemachte, original retro und nicht nachgemacht, einen durchgängigen und stimmigen Look. Und genau das liebte auch Calderwood, jedes kleinste Detail musste zum Gesamtkonzept passen, und zum Schluß wurde alles "undesigned", weil es sonst dann doch too much gewesen wäre.
Authentisch sein bedeutet für das Ace Hotel zum Beispiel die Wände nicht perfekt zu verputzen und den alten Mosaikboden nicht mit nachgemachten Stücken zu vervollständigen, sondern die Lücken mit Beton zu füllen. Dinge mit Patina, einzigartige Möbelstücke, natürliche Materialien, eben das "perfekte umperfekte".
Das Perfekte Unperfekte
Der besonders Innenarchitekturstyle des Ace Hotel wurde zum Trend. "Rough Luxe" nennt man den Trend, den hauptsächlich auch das für das Ace Hotel New York und New Orleans verantwortliche Innenarchitektur-Duo Roman Williams geprägt haben. Ein faszinierendes Paar, das ich sehr bald hier auf dem Blog Euch vorstellen werde.
Die Bar im Ace Hotel New Orleans wirkt wie aus der Zeit gefallen und doch wirkt es nicht antiquiert. Eine Vielzahl von lokalen Einflüssen wie afro-karibisch, spanisch und französisch verkörpern den definitiv komplexen Melting-Pot-Charakter der Stadt.
Authentizität spielt selbstverständlich auch in den Hotel Zimmern eine große Rolle. Das ganze Ensemble wirkt Moody, etwas mysteriös, die Möbel sind entweder von lokalen Manufakturen gefertigt oder Vintage. Der Kleiderschrank wurde in alter Bloomsbury Tradition mit Landschaftsszenen aus Louisiana von lokalen Künstlern handbemalt. Ein teures Stück mit dem Hotelgäste hoffentlich gut umgehen und nicht im Rausch die Gitarre darauf kaputt schlagen.
Ich hoffe, ich konnte Euch die Besonderheiten des Ace Hotel näher bringen und wenn ihr die Gelegenheit habt, in einem Ace Hotel zu übernachten, wisst Ihr ein bisschen über die Motivation und Motive des Unternehmens Bescheid. Das Atelier Ace, so heißt die hauseigene multi-disziplinäre Kreativagentur hinter den Hotels, sind ein sympathischer Haufen. Das Unternehmen ist natürlich gewinnorientiert, aber anstatt auf sinnlosen Wachstum zu setzen, steht das einzelne Projekt im Vordergrund. Und es dauert eben so lange es dauert. Wie gesagt, jedes Ace Hotel ist ein Individuum.
Hier geht es zur Website des ACE HOTEL