Was macht ein Design zum Klassiker? Warum überdauern manche Möbelentwürfe Generationen? Gutes Handwerk und zeitloses Design gehört dazu. Aber bei den fünf Sofaklassikern, die ich Euch hier vorstellen möchte, geht es auch um den Zeitgeist der Siebziger. Eine Abkehr von steifen und formalen Sofaecken und der Wunsch nach mehr Freiheit, harmonischeren Formen und Modularität. Mit diesen Sofas holt man sich ein Stück des Lebensgefühls dieser Zeit nach Hause, die Coolness der Vergangenheit färbt dann auf unser modernes Zuhause ab. Nicht verwunderlich, dass mit wachsender Beliebtheit diese Sofaklassiker aktuell die Wohnzimmer und Wohnzeitschriften füllen.
Mich wundert es nicht, dass TOGO, entworfen von dem Innenarchitekten Michel Ducaroy, der Ligne Roset Bestseller weltweit seit 1973 ist. Es hat sich auch binnen Sekunden in mein Herz geschmuggelt. Und seit kurzem habe ich mir den Zweisitzer auch in mein Zuhause geholt. In wenigen Jahren feiert das Togo seinen 50.! Geburtstag. Ich finde, es sieht keinen Tag älter aus als 1. Damit meine ich, es hat an Relevanz und Designaktualität nichts eingebüßt. Auf der einen Seite ist es ein klares Kind der Siebziger: die niedrige Sitzhöhe, das modulare System bestehend aus verschiedenen Einzelelemente, die man nach Belieben kombinieren kann, der lauschige Charakter. Aber TOGO ist DAS Lieblingssofa der zeitgenössischen Designszene. Nicht wegzudenken aus Bloggerwohnungen (haha!), Zeitschriften und Pinterest Boards zum Thema Interior Design.
Ligne Roset beschriebt das TOGO wie folgt:
Das erste Vollschaum-Polstermöbel aus einem Guss als Spiel mit einer elementaren Form, einfach und zugleich äußerst raffiniert für den legeren, ungezwungenen Lebensstil.
Man kann es sich als Millenial oder Gen X Mitglied kaum vorstellen, dass dieser “legere, ungezwungene Lebensstil” damals etwas Neues bedeutete, das Lebensgefühl einer ganze Generation verkörperte. Heute wirkt das TOGO eher zart gegen die gigantischen Sofalandschaften, die gerne in deutschen und amerikanischen Wohnzimmern stehen. „Eine Zahnpastatube, wie ein Ofenrohr gefaltet und an beiden Enden geschlossen.“ Mit diesen Worten brachte Michel Ducaroy das Rezept für seinen bekanntesten Entwurf auf den Punkt. Auch heute noch wird das Kultsofa in Frankreich per Hand gefertigt. Das TOGO entfaltet seinen Retrocharme am effektivsten mit Stoffbezügen, die auch in den 70ern verwendet wurden oder klassischen Lederbezügen, die mit Alter und Gebrauch immer schöner werden. Bei einer Auswahl von fast 900 Möglichkeiten und einer unendlichen Kombinationsmöglichkeit von Elementen kann schon eine Zeit vergehen, bis man sich entschieden hat. Aber für mich ist das Togo ein Sofa für die Ewigkeit. Übrigens, das Togo gibt es auch im Miniformat als Sessel für das Kinderzimmer.
Zum ersten Mal begegnete mir das Marenco Sofa von Arflex bewusst auf der IMM Cologne 2019. Es hinterließ einen bleibenden Eindruck. Ich konnte nicht genug bekommen von dem auffallenden korallenfarbenen Samtbezug, der bequemen Sitzfläche und dem auffälligen Design. Zwei Jahre später begegnete es mir erneut in schlichtem weißen Stoffbezug in Rotterdam im Interior Store Pantouffle und auch da war ich hin und weg. Sobald mein derzeitiges Sofa das Zeitliche segnet, wird es das Marenco sein. Es sind die interessanten Proportionen, die ausladenden Sitzkissen und die harmonische Form, die dieses Sofa auch nach 50 Jahren zu einem absoluten Lieblingsstück macht. Übrigens ist dieser Entwurf vom italienischen Designer und späteren Schauspieler Mario Marenco auch besonders in Japan sehr beliebt. Das Sofa entstand durch einen schnellen Sketch und war revolutionär in seiner Machart für damalige Verhältnisse. Jedes Kissen und die Armlehnen sind einzelne, gepolsterte Elemente, die mit einem Metallgestell verbunden sind. Mittlerweile wurden an dem Entwurf über die Jahre fast 100 Verbesserungen vorgenommen, die das Sofa noch bequemer, haltbarer und pflegeleichter machen.
Obwohl das Marenco Sofa auf der einen Seite wuchtig und voluminös ist, wirkt es doch in der Gesamtheit fast schon minimalistisch, oder auch eindeutig. Für die italienische Traditionsmarke Arflex, gegründet 1947, ist es ein Erfolgsgarant. Die Marke zeichnet sich aus, mit vielen internationalen Designerin interessante und mutige Entwürfe zu realisieren. Das Marenco gehört mit Sicherheit dazu.
Image by Stephen Kent Johnson
Ein weiteres Kind der Siebziger ist das Soriana. Geboren als eiliger Entwurf für die Internationale Möbelmesse in Köln 1970, aber mit nachhaltiger Wirkung, denn das Soriana findet sich noch heute in den Einrichtungen vieler Meinungsmacher der internationalen Innenarchitekturszene. Cesare Cassina rief im November 1969 beim italienischen Designerehepaar Tobia und Afra Scarpa an und fragte nach einem radikal neuen Sofadesign für die Möbelmesse im kommenden Januar. Man könnte meinen, dass so ein Entwurf doch mindestens Jahre in Anspruch nimmt. Erste lose Skizzen, Reinzeichnungen, Prototypen brauchen Zeit sich zu entwickeln. Doch das Design - sanfter, in Falten geworfener Stoff, der eine weiche Schaumstoffmasse umschlingt gehalten von einer großen Metallklammer - gewinnt den Compasso d’Oro Preis auf der Messe. Obwohl der loungige Charakter des Soriana Designs zunächst die Kunden begeistert, stellt Cassina 1982 die Produktion ein. Aber in den letzen Jahren ist das Soriana fester Bestandteil in den Hochglanzeinrichtungsmagazinen der Welt: und immer faszinierender Mittelpunkt. Auf online Plattformen für Vintage Design erzielt das Soriana Höchstpreise, ist oft sofort ausverkauft. Zum Hype um das Soriana haben sicherlich auch Interior Design Superstars wie Kelly Wearstler und Nate Berkus beigetragen, die das Soriana effektvoll im eigenen Zuhause in Szene setzen. Ich vermute, dass Cassina wieder auf das Design zurück kommen wird. Es wäre eine Bereicherung. Bis dahin gibt es gut erhaltene Exemplare in Leder, Samt und Kordstoff bei Pamono oder 1st Dibs.
Schaut man sich das DS-1025, wie es unromantisch offiziell bei de Sede heißt, von oben an, so erinnert seine Form an die Kartografie der Erdoberfläche. Oder an die Terrassen von Weinbergen, wie es der Designer Ubald Klug im Sinne hatte, als er das Sofa Anfang der Siebziger für de Sede in der Schweiz erschuf. Das Design spaltete damals die Gemüter. Die Zeitschrift The New Yorker nannte es “monströses Ding”, aber Mick Jagger räkelte sich gerne auf dem Sofa. Klug’s Sofa besteht aus sieben lederbezogenen Kissen in unterschiedlicher Größe, die auf einer rechteckigen Basis befestigt sind. Es gibt zwei gespiegelt Versionen, die man wie Dominosteine neinerlegen kann. So ergeben sich kuriose Formen, die einladen zum loungen. Das DS-1025 ist ein absolutes Magnet, wie ich auf der IMM Cologne jedes Jahr feststelle. Man möchte es unbedingt anfassen, gerne Probe sitzen und dann auch gerne bitte sitzen bleiben. Ein außergewöhnliches Stück Designgeschichte, das de Sede nach wie vor vertreibt. Aber auch Innenarchitekten lieben das Terrazza, wie es inoffiziell oft genannt wird. So haben Roman & Williams den “Boom Boom Room” im “The Standard Hotel” in New York damit veredelt. Vor der Skyline von New York kann man jetzt auf weißen Terrazza Sofas seine Cocktails schlürfen und ein bischen so tun, als wäre 1972.
Eine “Chamäleonartige Welle” war das Ziel des renommierten Architekten und Designers Mario Bellini, als er 1970 seinen Sofaentwurf mit der Wortschöpfung Camaleonda (Camaleonte (Chamäleon) + Onda (ital. für Welle) beschrieb. Er hat es begrifflich und förmlich gut getroffen, denn das modulare Sofasystem aus rechteckigen Sitzen und flexiblen Lehnen ist in der Tat wandelbar wie ein Chamäleon; Sofawelten mit Wellenförmigen Lehnen können bei Bedarf ganze Räume füllen. Der Erfolg wartete nicht lange auf Mario Bellini; Camaleonda wurde schon 1972 im MOMA Museum in New York in der Ausstellung “Italy, The New Domestic Landscape” gezeigt. Das Museum hatte schon früh erkannt, dass dieses Sofasystem Generationen begeistern wird, so wie es sich der Designer Bellini immer gewünscht hat. Er wollte ein zeitloses, wandelbares System entwickeln, dass perfekt die angestrebte Freiheit in den Siebzigern befriedigt. Auf den ersten Blick wirkt Camaleonda nicht, als wäre es schon 50 Jahre alt. So manches Design der Gegenwart erinnert sehr stark an Bellini’s Entwurf. Er war seiner Zeit wohl voraus. Auch das Camaleonda ist hochfavorisiertes Sofa vieler Interiormeinungsmacher. Als Vintage Exemplar erzielt es Höchstpreise. Nun ist es seit diesem Jahr auch wieder bei B&B Italia als Neuauflage in überarbeitetem Design erhältlich. Was für ein Glück.